2. Kalenderwoche: Mittwoch
Von mRNA zum Protein (I)
Die Mission der (kodierenden) mRNA ist es, als Sequenzvorlage zur Biosynthese von Proteinen zu dienen. Die mRNA-abhängige Produktion der zellulären Proteine bringt somit die Bausteine (Aminosäuren) in einem Polymer (Protein) zusammen. Jedes Produkt weist am Anfang eine Aminofunktion auf, an seinem Ende eine Carboxylgruppe. Folgende Fragen müssen wir beantworten:
- wie entstehen aus separaten Aminosäuren Peptidketten (chemische Erklärung notwendig)?
- wie wird die durch mRNA kodierte Information in die „Sprache“ der Aminosäuren übertragen? Wer fungiert wie als Übersetzer
- wie werden Fehler bei dieser Übersetzung verhindert?
Lassen Sie uns auf der Grundlage der Chemie ganz fundamental beginnen. Was wissen wir?
- Jeder ordnende Prozeß reduziert die Entropie eines Systems: wenn aus Bausteinen eine Kette wird, müssen Sie Energie investieren. Schauen wir uns rückblickend die Synthese von Nukleinsäuren durch Polymerasen an. Als Ausgangsstoffe werden nicht die Bausteine (also Nukleotidmonophosphate) sondern die entsprechenden Triphosphate benutzt. Ganz wichtig: für die Bildung der neuen Phosphorsäureesterbindung (zum Diester-Rückgrat der DNA wird eine Säureanhydridbindung aufgehoben, was energetisch günstig (exotherm) ist. Und es folgt mehr: ein entstehendes Produkt (Pyrophosphat) wird danach rasch gespalten (gekoppelte Reaktionen). Diese Hydrolyse verbessert die energetische Gesamtbilanz (enthalpisch und entropisch!) und entfernt zudem ein Produkt aus dem chemischen Gleichgewicht (macht die Synthesereaktion damit irreversibel!). Wir wenden diese Prinzipien nun gleich auf die Proteinbiosynthese an.
- Wir können Polymersynthese nach dem Lego-Prinzip verstehen: allen Aminosäuren (so sagt es der Name) sind Amino- und Carboxylfunktionen gemeinsam. Diese sind also die Legobaustein-artigen Kontaktstellen zur Kettenbildung.
Diese beiden Funktionen müssen zur Kettenbildung miteinander reagieren, es entsteht dann ein Säureamid, die Peptidbindung. Diese Synthese läuft jedoch nicht spontan ab.
Nun, wir wenden jetzt die bekannten o.g. Prinzipien der Synthese an, also Bausteinaktivierung, Spaltung energiereicher Bindungen und rasche Entfernung eines Produktes aus dem Gleichgewicht.
Welche Funktionalität schlagen Sie zur Aktivierung vor: Amino oder Carboxyl?
Eine Säurefunktion (das wissen Sie) wird durch Anhydridbildung (auch Bildung eines Thioesters) aktiviert und somit wird das Produkt zu einem Donor (zur Übertragung auf ein Nukleophil).
Bezüglich der Aminofunktion kennen Sie eine Aktivierungsart, diese zum Zwecke der Energiespeicherung im Muskel durch eine N-P Bindung: wie heißt die aktive Substanz (sie entsteht aus Glycin in zwei Schritten, wird dann phosphoryliert)? Diese Aktivierung wird jedoch nicht für intermolekularen Transfer genutzt! Bitte beachten sie zudem, daß die Tatsache, daß alle Proteine mit einer Aminofunktion beginnen, uns mitteilt, daß Aktivierung und folgender Transfer an der Carboxylfunktion erfolgen, die Syntheserichtung also von Amino (am Start) zu Carboxyl verläuft.
In Analogie zu Nukleinsäuren kommt die Energie aus einem Phosphorsäureanhydrid. Im Aktivierungsschritt wird aus der Aminosäure (aa) durch Umsetzung mit ATP ein Aminoacyladenylat (aa-AMP; bitte für Glycin zeichnen), Pyrophosphat wird freigesetzt und umgehend hydrolysiert (s.o.). Das (gemischte) Säureanhydrid (wie PAPS bei Sulfatierungen) ist energiereich. Es könnte gleich mit einer Aminofunktion reagieren – doch dann fehlt uns ja die sequenzabhängige Übersetzung von mRNA in Protein, uns fehlt also der Übersetzer (bitte beachten Sie an dieser Stelle, daß Fettsäuren genau auf diesem Weg zu ihrem CoA-Derivat über das Acyladenylat umgewandelt werden (zur β-Oxidation; zur Bildung von Acetyl-CoA als Reagenz für Acetylierungen, z.B. bei Aminozuckern oder der post-translationalen Modifizierung von Proteinen wie Histonen).
Diese Rolle übernimmt das Zusammenspiel von jeweils einer Klasse von RNA und Protein (Enzym):
- t(transfer)RNA: sie ist ca. 70-90 Basen lang und bildet dreidimensional eine Kleeblattstruktur mit Schleifen (Blättern) und doppelsträngigen Stammbereichen (wie wir es für pri-miRNA besprochen haben). Zum Verständnis ihrer Funktion zeichnen Sie den Buchstaben „L“ und bezeichnen seine Spitze als -CCA Trinukleotid (mit freien 2‘- und 3‘-OH Gruppen an der terminalen Ribose). Den unteren (horizontalen) Bereich nennen wir Anticodon (die chemische Synthese von tRNA war übrigens eine Meisterleistung der bioorganischen Chemie – den Wettlauf um die erste vollständige Synthese (und damit den Nobelpreis) hat mein Doktorvater (knapp) verloren: wie ABBA singen, „the winner takes it all“).
- Aminoacyl-tRNA Synthetasen: diese Enzyme stellen die Verbindung zwischen einer Aminosäure und der für eine Aminosäure spezifischen tRNA her. Sie erkennen somit die (richtige) Aminosäure (und aktivieren sie zum Aminoacyladenylat: aa-AMP) und übertragen sie dann (unter AMP Freisetzung) auf eine der beiden Hydroxylgruppen am 3‘-CCA der tRNA (wir haben im Labor von Prof. Cramer die Spezifität dieser Übertragung durch chemische Modifizierung der tRNA (Austausch von A aus -CCA durch 2‘- oder 3‘-Desoxy-A und vergleichende Messungen der Akzeptorfunktion) bestimmt. Im Fluß der Reaktionen wird somit aus dem Säureanhydrid von aa-AMP ein Aminosäureester mit der tRNA. Die Mitglieder dieser Enzymfamilie stellen also spezifisch ein Aminoacyl-Adenylat (unter Nutzung von ATP: deshalb Synthetase, nicht Synthase) her und nutzen dann tRNA als Akzeptor, was den Namen erklärt: Aminoacyl-tRNA Synthetasen (z. B. Phenylalanyl-tRNA Synthetase).
Wie wird die Spezifität der Zuordnung von Aminosäure zu tRNA gewährleistet? Einzelne Paare oder Gruppen von Aminosäuren weisen nämlich große strukturelle Ähnlichkeit auf wie Phe/Tyr, sollten im Protein nicht vertauscht (fehlerhaft) auftauchen.
Als erstes erfolgt Selektion von Aminosäuren auf der Stufe der Bindung. Zudem verfügen Enzyme dieser Klasse über erstaunliche Korrekturfähigkeit (das Thema meiner Diplom- und Doktorarbeiten): sie können falsche Produkte auf der Stufe des Aminoacyladenylates (vor dem Transfer) oder der Aminoacyl-tRNA (nach dem Transfer, vor der Freisetzung des Produktes) hydrolysieren. Welche Möglichkeit ausgeprägt genutzt wird, ist interessanterweise für eubakterielle und eukaryotische Enzyme unterschiedlich – und das mitochondriale Enzym weist eubakterielle Präferenz auf (Download Links: Biochemistry 1983;22(10):2331-9; Biochemistry 1983;22(23):5306-15), was im Rahmen der Endosymbionten-Hypothese plausibel erscheinen kann. Aminoacyl-tRNA Synthetasen sind also Enzyme mit Korrekturfunktion (wie DNA Polymerasen).
Mit der Entdeckung der tRNA (als Schnittstelle zwischen Nukleinsäure und Protein) war der Weg vorgezeichnet, die Beziehung von Sequenz der mRNA hin zum Protein zu entschlüsseln, also den genetischen Code zu knacken. Und nun wird es superspannend: was passierte am frühen Morgen des Sonnabends, 27. Mai 1961, so gegen 3 Uhr?
Haben Sie Fragen?
Wenn ja, gehen Sie hierfür auf die sli.do Internetseite: https://app.sli.do/event/d3ixzczo
Der Code für Biochemie Fragen im WS 2020/21 lautet: # L072