Forschung
Der Lehrstuhl für Biochemie und Chemie vertritt die Fächer Biochemie und Chemie in der tiermedizinischen Lehre und nutzt biochemische und immunologische Methoden, um Forschungs-Fragestellungen an der Grenzfläche zwischen Tier- und Humanmedizin zu adressieren (One-Health-Ansatz). Einen Schwerpunkt der Forschung stellt dabei die Untersuchung der Wechselwirkung von Zuckern mit Zucker-bindenden Proteinen (den sogenannten Lektinen) dar.
Lektine sind verschiedene Klassen von Zucker-bindenden Proteinen, die spezifische Zuckerstrukturen von Glykoproteinen und Glykolipiden binden, aber auch andere Strukturen wie Kristalle oder Proteine erkennen können. Lektin-Zucker-Wechselwirkungen beeinflussen dabei eine Vielzahl von biologischen Prozessen wie die Zell-Zell-Interaktion, zelluläre Signalwege, Entzündungsprozesse oder die Immunantwort. Die Forschung des Lehrstuhls beschäftigt sich vor allem mit zwei Lektin-Superfamilien, den C-Typ Lektinrezeptoren (CLRs) und den Galektinen. Beide Lektin-Superfamilien haben wichtige physiologische Funktionen, spielen aber auch eine wichtige Rolle bei Krankheitsprozessen. Beispielsweise wirken CLRs bei der Erkennung von Krankheitserregern mit und sind daher oftmals essenziel, um eine schützenden Immunantwort auszubilden.
Unser Lehrstuhl versucht relevante Funktionen dieser Lektine in Infektionen und anderen inflammatorischen Prozessen aufzuklären und so fundamentale Erkenntnisse zur Rolle der Lektine in Gesundheit und Krankheit zu gewinnen. Zu diesem Zweck generieren wir Werkezuge für die Lektin-basierte Forschung und nutzen Lektine als Zielmoleküle für das Zell-spezifische Targeting und zur Immunmodulation.
Forschungsschwerpunkte
Glykobiochemie / Glykoimmunologie – Identifikation von Lektin-Liganden auf Pathogenen und Selbst-Antigenen
Ein Schwerpunkt der Forschung des Lehrstuhls beschäftigt sich mit der Frage, wie Lektine mit Bindungspartnern (den Liganden) interagieren und welche Funktionen die betreffenden Lektin-Liganden-Wechselwirkungen auf zellulärer und organismischer Ebene haben. Ein Fokus liegt dabei auf den myeloiden C-Typ-Lektinrezeptoren (CLRs). CLRs repräsentieren eine große Lektin-Rezeptor-Superfamilie, die hauptsächlich von Zellen des angeborenen Immunsystems exprimiert werden. CLRs erkennen evolutionär konservierte Glykanstrukturen auf Krankheitserregern und spielen eine entscheidende Rolle bei der Initiierung von Immunantworten. Die meisten (aber nicht alle) CLRs binden ihre Liganden abhängig von Ca2+, was durch das „C“ im Namen C-Typ Lektin dokumentiert wird. Die CLR-Superfamilie ist in 17 Untergruppen von membranständigen oder sezernierten Rezeptoren unterteilt. Antigen-präsentierende Zellen, wie dendritische Zellen oder Makrophagen, exprimieren eine Vielzahl von membranständigen myeloiden CLRs. Daher sind myeloide CLRs wichtig für die Immunantwort und attraktive Kandidaten für Zell-Targeting und Antigentransport.
In unserem Institut wird die Funktion von CLRs anhand verschiedener Modelle untersucht. So wurden in Vorarbeiten Bibliotheken sogenannter CLR-Fc Fusionsproteine generiert. Die CLR-Bibliotheken umfassen nicht nur CLRs aus Maus und Mensch, sondern beinhalten z.B. auch CLRs aus Rind, Schaf und Stechmücke. Mit Hilfe dieser CLR-Bibliotheken können neuartige Wechselwirkungen zwischen CLRs und Pathogenen oder einzelnen Pathogen-Liganden identifiziert werden, da sie eine einfache Detektion in verschiedenen Assays ermöglichen. Diese Assays umfassen beispielsweise ELISA-, Durchflusszytometrie-, Fluoreszenzmikroskopie- und Immunoblot-basierte Bindungsstudien, Immunpräzipitation und Glykan-Arrays.
Neben CLR-Bibliotheken nutzen wir auch Zellkulturmodelle und Knockout-Modelle, um die Funktion der CLRs in der Zelle zu untersuchen und um individuelle Effekte einzelner CLRs im Vergleich zu ihren Wildtyp-Gegenstücken in komplexeren Systemen zu analysieren.
Weitere Informationen:
Prado Acosta et al., Front. Immunol. 2021
Malamud et al., Front. Immunol. 2019
Stoff et al., Sci. Rep. 2019
Mayer et al., Front. Immunol. 2018
Raulf et al., Cell Rep. 2019
Lektin-Targeting – Zucker-basierte Immunmodulation
CLRs eignen sich zur gezielten Wirkstoffapplikation in Zellen und im lebenden Organismus. Da einzelne Lektin-Zucker-Interaktionen in der Regel eine geringe Bindungsstärke haben, sind oft multivalente Bindungen notwendig, um biologische Effekte zu erzeugen. So können identifizierte CLR-Liganden zum gezielten Targeting von Antigen-präsentierenden Zellen in multivalenter Form auf Träger aufgebracht werden, z.B. in Form von Glykodendrimeren und –polymeren, Glykonanopartikeln und Glykoproteinen. Studien haben gezeigt, dass das CLR-Targeting auf Immunzellen eine vielversprechende Methode darstellt, um Substanzen oder Impfstoffantigene gezielt in Immunzellen einzubringen und Immunantworten selektiv zu stimulieren oder inhibieren. Zu diesen Fragestellungen gibt es nationale und internationale Kollaborationen des Lehrstuhls, um verschiedene Aspekte des CLR-Targetings, von der Synthese bis hin zur Applikation in vivo zu untersuchen.
Weitere Informationen:
Johannssen et al., Trends Biotechnol. 2017,
Artigas et al., J. Med. Chem. 2017
Brzezicka et al., ACS Chem. Biol. 2016
Lai, Hütter et al., Nano Lett. 2016
Maglinao et al., J. Control. Release 2014
Veterinär-Infektionsbiochemie – Lektine im One-Health-Kontext
Ein weiterer Schwerpunkt der Forschung des Lehrstuhls ist die Veterinär-Infektionsbiochemie – im Rahmen eines One Health-Ansatzes. Da die Funktionen der CLRs bisher vor allem in Mensch und im Mausmodell untersucht wurden, ist wenig zur Relevanz der CLRs bei der Immunantwort in anderen Tierarten bekannt. Initiale Studien zeigen, dass es zwar eine Reihe von Gemeinsamkeiten bei der Liganden-Spezifität von CLRs aus verschiedenen Tierarten gibt, aber auch signifikante Unterschiede. Laufende Arbeiten beschäftigen sich mit der viralen Erkennung von CLRs, u.a. hinsichtlich ihrer Rolle bei der Vektorkompetenz und mit Vergleichen in der Pathogen-Spezifität von CLRs in Mensch und tierischen Wirtsspezies.
Ein weiterer Aspekt der Arbeiten betrifft die Modulation der Funktion von Zellen des angeborenen Immunsystems durch CLR-vermitteltes Training, die sogenannte „trained innate immunity“. Studien zeigen, dass sich durch CLR-Stimulation die Effektorfunktionen von Immunzellen auf einen sekundären Stimulus beeinflussen lassen, und zwar sowohl in Richtung einer stärkeren Immunantwort („Training“) als auch in Richtung einer modulierten Immunantwort („Toleranz“). Neben veränderten Effektorfunktionen wie der Zytokinproduktion und der Expression von Aktivierungsmarkern induziert das CLR-vermittelte Training auch epigenetische Veränderungen der DNA. Wir wollen verstehen, wie CLRs in verschiedenen Tierarten an der „trained innate immunity“ mitwirken und CLRs gezielt nutzen, um auf diese Weise Immunantworten spezifisch zu modulieren.
Weitere Informationen:
Stegmann et al., Curr. Opin. Chem. Biol. 2024
Stegmann et al., iScience 2024
Schön et al., Int. J. Mol. Sci. 2022
Raulf et al., Cell Rep. 2019